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Crusius: Patienten brauchen im Schadensfall ärztliche Expertise

Bundesärztekammer stellt Behandlungsfehlerstatistik 2011 vor

Berlin, 19.06.2012

„Überall wo Menschen arbeiten, passieren Fehler – auch in der Medizin. Hier können Komplikationen oder unerwünschte Behandlungsergebnisse verschiedene Gründe haben. Dabei vermengen sich häufig die Ursachen, was die Beantwortung der Frage schwierig macht, ob ein Behandlungsfehler für eine Komplikation ursächlich ist oder nicht.
Umso wichtiger ist es, dass die Patientinnen und Patienten bei einem vermuteten Schadensfall nicht allein gelassen werden. Sie sind bei der Aufklärung eines möglichen Behandlungsfehlers auf
die ärztliche Expertise angewiesen.“ Das sagte Dr. Andreas Crusius, Vorsitzender der Ständigen Konferenz der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen, bei der Vorstellung der Behandlungsfehler-Statistik 2011 in Berlin. Wie aus der Statistik hervorgeht, haben die
Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen bei den Ärztekammern im Jahr 2011 insgesamt 7.452 Anträge zu mutmaßlichen Behandlungsfehlern bearbeitet (11.107 Anträge wurden eingereicht). Dabei lag in 2287 Fällen ein Behandlungsfehler oder Risikoaufklärungsmangel vor. In 1901 Fällen wurde ein Behandlungsfehler als Ursache für einen Gesundheitsschaden ermittelt, der einen Anspruch des Patienten auf Entschädigung begründete. Die häufigsten Diagnosen, die zu Behandlungsfehlervorwürfen führten, waren wie in den Vorjahren Knie- und Hüftgelenkarthrosen sowie Unterarm-, Unterschenkel und Sprunggelenkfrakturen. In den Krankenhäusern stieg die Zahl der nachgewiesenen Fehler bei Kniegelenkarthrose (71 Fälle) und Unterarmfrakturen (65 Fälle) leicht an. Bei der Behandlung vonBrustkrebs im niedergelassenen Bereich hat sich die Zahl der nachgewiesenen Fehler im Vergleich zu den Vorjahren hingegen deutlich reduziert (15 Fälle).

„Eine völlig fehlerfreie Behandlung wird es nie geben. Schon daraus resultiert die Verpflichtung, alles dafür zu tun, das Risiko so klein zu halten wie irgend möglich“, sagte Crusius. Er verwies darauf, dass die Ergebnisse der Gutachterkommission und Schlichtungsstellen seit zwölf Jahren mit Hilfe des Medical Error Reporting Systems (MERS) in einer bundesweiten Statistikdatenbank erfasst und ausgewertet werden. „Die Ergebnisse werden von der Ärzteschaft für Fortbildungs- und Qualitätssicherungsveranstaltungen aufbereitet um Strategien zur Fehlervermeidung zu entwickeln“, berichtete Crusius.

„Jeder Schaden muss Anlass für uns sein, etwas besser zu machen“, sagte Prof. Dr. Walter Schaffartzik, Ärztlicher Leiter des Unfallkrankenhauses Berlin und Vorsitzender der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern. „Gleichwohl kann man nicht jeden gesundheitlichen Schaden , der bei einer Therapie auftritt, auf einen ärztlichen Behandlungsfehler zurückführen. Dies sagte Schaffartzik mit Blick auf Anfang des Jahres in den Medien veröffentlichte Zahlen aus der Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamtes. Diese hatten zum Teil zu irreführender Berichterstattung über eine angeblich massiv gestiegene Zahl von Behandlungsfehlern geführt.
Prof. Dr. Karl Wessel, Chefarzt der Neurologischen Klinik des Klinikums Braunschweig und Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle der Norddeutschen Ärztekammern in Hannover, wies darauf hin, dass auch und gerade der medizinische Fortschritt mit ein Grund für Behandlungsfehlervorwürfe sein kann. Anhand des Beispiels der Schlaganfallversorgung berichtete er: „Mitunter kommt es zu Fehlervorwürfen, weil Ärzte nicht oder nicht sofort eine Behandlung auf Spezialstationen veranlasst haben.“
Auf die Neuregelungen des geplanten Patientenrechtegesetzes ging Johann Neu, Geschäftsführer der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern, ein. „Es ist zu begrüßen, dass mit dem Gesetz die Patientensicherheit erhöht und die Fehlervermeidungskultur gefördert werden soll.“ Neu bemängelte aber, dass die Unterlagen von freiwilligen Fehlermeldesystemen, wie MERS oder das Critical Incident Reporting System, auch künftig nicht durch ein Beschlagnahmeverbot vor dem Zugriff in Strafverfahren geschützt werden. Eine entsprechende Regelung in der Strafprozessordnung könnte das Bemühen unterstützen, Fehler offensiv anzugehen und zu melden.

Gut ein Viertel aller vermuteten Arzthaftungsfälle in Deutschland wird durch die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Ärztekammern bewertet. Die seit 1975 bei den Ärztekammern eingerichteten Stellen bieten eine Begutachtung durch unabhängige Experten und außergerichtliche Streitschlichtung bei Behandlungsfehlervorwürfen an. Der Patient kann durch ein effizientes und gebührenfreies Verfahren überprüfen lassen, ob sein Behandlungsfehlervorwurf gerechtfertigt ist. In ca. 90 Prozent der Fälle werden die Entscheidungen der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen von beiden Parteien akzeptiert und die Streitigkeiten beigelegt. Wird nach Begutachtung durch diese Institutionen doch noch der Rechtsweg beschritten, werden die Gutachten der Kommissionen überwiegend bestätigt.

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